Singing flute

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SINGING FLUTE

„Ihr müsst wissen, dass alle Musikinstrumente der menschlichen Stimme unterlegen sind und im Vergleich zu ihr geringeren Wert haben als diese. Deshalb müssen wir uns bemühen, von ihr zu lernen und versuchen, sie nachzuahmen, um ihr ähnlich zu werden.“

Silvestro Ganassi (La Fontegara – 1535)



Wovon hängt die Vielfalt an möglichen Flötenklängen ab, denen unterschiedliche musikalische Ausdruckspotenziale innewohnen und mannigfache emotionale Wirkungen auf Zuhörer hervorrufen? Welche körperlichen und mentalen Faktoren bestimmen die verschiedenen Klangeigenschaften? Wo, in welchem Körperteil, wird der Ton gebildet? Welche Rolle spielt und auf welche Art beeinflusst der gesamte Vokalapparat die Klangerzeugung und die Klangqualitäten beim Blasinstrumentenspiel? Was haben Gesang und Flötenspiel gemeinsam?

Angeregt durch vielfältige Erfahrungen und Beobachtungen in ihrer künstlerischen und pädagogischen Praxis als Flötistin und Sängerin, hat Francesca Canali seit 1998 in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Medizinern die künstlerischen und physiologischen Prozesse der Erzeugung, Formung und Entwicklung des musikalischen Klanges erforscht.

Sie hat die ,Variable Mensch‘ in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit gestellt und mittels komplexer interdisziplinärer Forschungen alle möglichen ,Interaktionen‘ zwischen Mensch und Instrument untersucht.

Besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Kehlkopf sowie auf der Rolle des gesamten Vokalapparats und der Stimme beim Blasinstrumenten-/Flötenspielen: es geht im Detail um den Einfluss unterschiedlicher körperlichen Vorgänge bzw. physiologischenEinstellungen und Funktionsweisen des Vokalapparats auf die Klangerzeugung und ‑gestaltung und auf die unterschiedlichen daraus resultierenden Klangqualitäten des Flötentons.

Ziel ihrer Forschung ist es, die unterschiedlichen Klangqualitäten, die man in der musikalischen Praxis erlebt, zu beschreiben und zu definieren, und sie mit unterschiedlichen funktional-physiologischen Vorgängen sowie mit unterschiedlichen auditiven und sensomotorischen Empfindungen, die der Flötist während des Spielens erlebt, und verschiedenen stilistischen, ästhetischen und pädagogischen/didaktischen Ansätzen in Korrelation zu bringen.

International Voice Symposium „La voce artistica“, Ravenna – Italy

Schwerpunkte ihres interdisziplinären Forschungsansatzes bilden praxisbezogene empirische Untersuchungen basierend auf Ergebnissen von endoskopischen und spektrografischen Untersuchungen und auf der Analyse von unterschiedlichen Hörwahrnehmungen und sensomotorischen Körperempfindungen bei der Tonemission von Klängen unterschiedlichen Ausdruckscharakters und unterschiedlicher Klangqualität.

Die theoretische Grundlage bilden ein umfassendes Studium der Didaktik und Methodik des Flötenspiels und des Gesangs, profunde Kenntnisse der Anatomie und Physiologie des Atem- und Stimmapparats sowie vielfältige künstlerische und pädagogische Erfahrungen.

Wesentlich für das Erreichen ihrer Ergebnisse war die Zusammenarbeit mit namhaften Experten auf den Gebieten der Musikphysiologie und -medizin und der Physiologie der künstlerischen Stimme wie Dr. Franco Fussi, Dr. Josef Schlömicher-Thier, Dr. Horst-Peter Hesse, Dr. Günther Bernatzky und ihre Teilnahme an zahlreichen Kongressen, Seminaren und Fortbildungen (wie z.B. ihre zweijährige Ausbildung in der Gesangsmethode Voice Craft von Jo Estill oder ihre Ausbildung in der Gesangsmethode von Yva Barthelemy, um nur einige zu nennen).


SINGEND-SPIELEN  &  SPIELEND-SINGEN

Spectrograms of four different modes of producing flute sound

Die Forschungsergebnisse ermöglichten Francesca Canali, den musikalischen Klang sowohl als rein physiologischen körperlichen Prozess als auch in seiner stilistischen, expressiven, pädagogischen und künstlerischen Bedeutung zu erfassen.

Sie zeigten mit eindeutiger Klarheit, dass der Vokalapparat als ein komplexes funktional-physiologisches System (Kehlkopf, Resonanzräume und Atmungsapparat) eine fundamentale Rolle bei der Klangerzeugung und folglich auch bei der künstlerischen Klanggestaltung/Tonbildung spielt.

Das Flötenspiel und das Singen teilen tatsächlich viele funktionelle und physiologische Gemeinsamkeiten: Der Gebrauch verschiedener Atem- und Gesangstechniken, welche im Gesang eine entscheidende Rolle spielen, wirken sich auch im Flötenspiel ähnlich auf den Klang aus. Darüber hinaus beeinflussen unterschiedliche Einsatz- und Funktionsweisen des gesamten audio-vokalen-respiratorischen Systems die verschiedenen Tonqualitäten und damit die musikalische Ausdruckskraft, den Stil und die Qualität der gesamten musikalischen Performance.

Daraus folgt, dass Körper und Stimme des Instrumentalisten grundlegende Bestandteile seines Instruments sind und dass auf physiologisch-funktionaler Ebene der Instrumentalist eine Art ,versteckter Sänger’ ist im Sinne, dass er seine Stimme bewusst oder unbewusst beim Spielen ,verwendet’ und sozusagen während des Spielens ,singt‘ oder auch singend-spielt! („canta suonando o anche suona cantando“1).

Die Ergebnisse dieser Forschung führen zu einem neuen Ansatz in der Flötenpädagogik und -didaktik und setzen neue Impulse für die musikalische Interpretation.

Auf dieser wissenschaftlichen Grundlage hat Francesca Canali ihr eigenes instrumentalpädagogisches Modell entwickelt, das sich durch einen ganzheitlichen Ansatz auszeichnet und in dessen Mittelpunkt der Musiker/die Musikerin in seiner/ihrer körperlichen, emotionalen und geistigen Ganzheit, Individualität und Komplexität steht.

2013 schloss Francesca Canali ihr Doktoratsstudium (PhD) im Fach Musikpädagogik an der Universität Mozarteum in Salzburg mit Auszeichnung ab und veröffentlichte Teile ihrer Forschungsergebnisse in ihrer Dissertation.

Sie wurde als Expertin und Referentin auf viele internationale Kongresse der Musikpädagogik, Medizin und Musikerphysiologie eingeladen, war bis 2020 Teil eines Forschungsteams und lehrte Musikphysiologie, Anatomie und Musikermedizin an der Universität Mozarteum in Salzburg.

Eine umfassende Publikation ihrer Forschungen wird demnächst erscheinen.

Spectrogram of the same note obtained by playing the flute using consciously three different kinds and techniques of singing

 


[1] Begriff, den Francesca Canali in ihrer Forschung verwendet hat, um ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle beim Flötenspiel zu beschreiben, die mit bestimmten Klangqualitäten und musikalischen Phrasierungen einhergehen. – CANALI, Francesca: Die Bedeutung und die Rolle des Kehlkopfs und des Vokalapparats für die Klangerzeugung und Klangqualitäten des Flötentones (2013), Dissertation, Universität Mozarteum Salzburg